Wirtschaftsethik
In Fragen normativen Orientierungswissens wird häufig an Werte, an Moral und folglich auch an die wissenschaftliche Disziplin der Ethik gedacht. Diese könne doch, so die Hoffnung vieler, durch eine Begründung von bestimmten Moralprinzipien verlässliche Orientierung in einer komplexen, sich ständig verändernden Welt geben. Die Wirtschaftsethik, wie sie an diesem Lehrstuhl vertreten wird, versteht sich als systematische Antwort auf diese immer drängendere Frage nach normativer Orientierung unter den Bedingungen der modernen Gesellschaft. Ihre Grundthese dabei ist, dass die Moralprinzipien der traditionalen Ethik heute in Gestalt veränderter Handlungsimperative – bei identisch bleibenden Prinzipien – zur Geltung gebracht werden müssen. Dies ist die grundlegende Einsicht des Moralphilosophen und Ökonomen A. Smith, wenn er im Leistungswettbewerb die moderne Form der Caritas sieht und die Grundlage für den Wohlstand der Nationen in der Verfolgung des Eigeninteresses ihrer Bürger – unter geeigneten Regeln – ausmacht. Die modernen Handlungsimperative der Wirtschaftsethik – die uns in Aussagen wie den folgenden beiden entgegentreten: Wettbewerb ist solidarischer als Teilen, oder: Privateigentum ist gemeinnütziger als Gemeineigentum – erscheinen uns vielfach kontraintuitiv. Ihr Sinn erschließt sich uns erst im Rahmen ihrer theoretischen Herleitung mittels der ökonomischen Methode.
Es ist die in der ökonomischen Reflexion gewonnene Argumentationskompetenz in konkreten normativen Problemlagen, die im Zentrum der Wirtschaftsethik steht und den Studierenden vermittelt werden soll. So stehen in den einzelnen Veranstaltungen immer die Fragen nach den angegebenen Geltungsgründen für die Moralprinzipien und den gesellschaftlichen Bedingungen im Vordergrund, unter denen sie letztlich zur Geltung gebracht werden müssen. Systematischer Kern einer Wirtschaftsethik, die sich an der Leitfrage nach den Bedingungen, Möglichkeiten und Grenzen der Implementation moralischer Ideale orientiert, bleibt dabei die Einsicht darin, dass eine Ethik von niemanden verlangen kann, gegen sein langfristiges Eigeninteresse nachhaltig zu verstoßen. Es ist daher eine allgemeine Aufgabe der Gesellschaftspolitik, die Moral durch den geeigneten Zuschnitt der gesellschaftlichen Spielregeln anreizkompatibel auszugestalten, damit sie auf breiter Front auch von den Bürgern gelebt werden kann.
Die zentralen Fragen der Wirtschaftsethik, die sich hieraus ergeben, sind: Auf welche normative Geltungsgründe kann eine moderne Ethik angesichts des Faktums eines gesellschaftlichen Wertepluralismus noch rekurrieren? Welche Rolle können traditionale Werte, wie z.B. Gerechtigkeit und Solidarität, in den Diskursen gesellschaftlicher Verständigung spielen? Welche Möglichkeiten stehen Unternehmen offen, legitimen moralischen Ansprüchen unter den Wettbewerbsbedingungen der globalen Wirtschaft nachzukommen? Worin liegt der Beitrag der Klassiker der philosophischen Ethik zur normativen Orientierung in der modernen Gesellschaft? Diese Fragen zeigen zugleich den Charakter der Wirtschaftsethik. Es geht in ihr um konzeptionelle Grundlagenforschung für die moderne Gesellschaft, deren Aufgabe es zugleich ist, den Sinn und die Grenzen einer ökonomischen Theorie der Ethik zu reflektieren.
Die angebotenen Lehrveranstaltungen umfassen folgende Themenkreise: Die Klassiker der philosophischen Ethik bis zur Gegenwart – wie z.B. Aristoteles, I. Kant, D. Hume und J. Rawls –, eine Grundlegung der modernen Ethik, eine Diskussion ethischer Implikationen der Globalisierung und des Internets sowie Beiträge zu einer Theorie der Demokratie und der modernen Gesellschaft (N. Luhmann).